In die Sonne schauen

Filmplakat: In die Sonne schauen

Werdegang des Vierseitenhofes und seiner Bewohnerinnen und Bewohner

„Man weiß nie, wann man am glücklichsten ist.“, sagt Angelika. „Immer erst, wenn der Moment vorbei ist“. Bei einem Film weiß man auch erst nach dem Schauen, ob er gut ist. IN DIE SONNE SCHAUEN ist ein langer, verschachtelter Film von Mascha Schilinski, aber hinterher entfaltet er im Gespräch mit anderen sein wahres Potenzial.

Das atmosphärische Drama erzählt vom Leben auf einem Vierseitenhof in der Altmark über hundert Jahre hinweg. Im Mittelpunkt stehen neben dem Hof vier junge Mädchen, die zu unterschiedlichen Zeiten die Gebäude mit ihrer Familie bewohnen. Dabei erfolgt die Erzählung nicht linear, sondern springt immer wieder auf der Zeitlinie hin und her, verwebt sich zu einer großen Geschichte mit zahlreichen Parallelen.

Es gibt in den vier Zeitebenen Bezugspersonen. Da ist die kleine Alma vorm Ersten Weltkrieg, Erika, die mit den Krücken ihres Onkels irgendwann in der Zeit des Zweiten Weltkriegs durch das Haus humpelt, Angelika in der DDR und Lenka aus Berlin, deren Eltern heute den Hof restaurieren. Immer mehr Figuren und Nebenstränge kommen mit der Zeit dazu, so dass es sich nicht nur wie ein Lebensausschnitt anfühlt, sondern wie ein allumfassendes Bild vom Leben.

Der Hof ist unverändert die Kulisse, ein Haus mit Seele und die Verbindung zwischen allen Bewohner:innen. Auch über die vielen Jahre bleiben das Loch im Scheunentor, der Heuhaufen, das Feld, der Fluss in der Nähe und die Sonne gleich. Dadurch muss man als Zuschauer*in auch auf Kleinigkeiten wie Beleuchtung, Kleidung, Gerätschaften, Handys oder Kameras achten, um zu wissen, in welcher Zeit man sich auf dem Hof gerade befindet.

Aber nicht nur der Ort verknüpft alle vier Geschichten, auch die Themen wie Leben und Tod, Vergänglichkeit, Gewalt und die Flucht vor ihr, sexuelles Erwachen, Pubertät, körperliche Entwicklung und das Heranwachsen bleiben beständig und ziehen sich durch. In allen Zeiten werden Frauen und Mädchen von Männern begehrt, unterdrückt, belästigt und ausgenutzt – ein gesellschaftlicher Missstand, der als inakzeptable Normalität entlarvt wird.

Die Gewalt, die Menschen erleben, das Aushalten der Stille, das Nichtwissen, was passieren wird oder das dröhnende Rauschen wirken auf uns unangenehm. Vieles wird nicht ausgesprochen, aber irgendwie wird es trotzdem klar. Der Interpretationsspielraum lässt mehrere Antworten und eine eigene Sicht zu. Die Aussage des Filmes kann sein: redet miteinander und sucht eure Stimme. Es spricht sehr für die Arbeit der Regisseurin, ihren Umgang mit Kamera, Schnitt und Ton, denn man wird ins Geschehen reingezogen durch die Art, wie erzählt wird. Die einzelnen Stränge sind so gefüllt und hinterlassen bei jedem nur Bruchstücke von Erinnerungen, die danach wieder zusammengefügt werden müssen. War es so oder so? Welches Bild gehört zu wem?

Eine unserer Lieblingsszenen steht gleich am Anfang des Filmes: Die Schwestern von Alma spielen Fangen durch den Flur, durch die Stube, die Küche und wieder durch den Flur. Immer wieder laufen sie durch die Räume und wir hinterher. Doch plötzlich sind alle Menschen weg und es ist ein anderer Tag. Wir spüren beim Mitlaufen förmlich, dass Alma beim Fangenspielen am glücklichsten ist und dann ist es vorbei. Wie diese Erkenntnis durch den langen beobachtenden Blick Almas durch das Schlüsselloch in uns langsam einsickert, ist stark. IN DIE SONNE SCHAUEN könnte bedeuten, dass man damit der Wirklichkeit in die Augen schaut und sie im wahrsten Sinne des Wortes Alles ans Licht bringt. Sie steht in jedem Jahrzehnt am Himmel. Vielleicht bleibt ein blinder Fleck, den Angelika beschreibt, geblendet vom Licht, das in den Augen wehtut.

Wir empfehlen den melancholischen Film ab einem Alter von 16 Jahren für Menschen mit Sitzfleisch. Je länger man nachdenkt, umso besser wird er. Wir raten nach dem dramatischen Ende unbedingt miteinander zu sprechen und sich auszutauschen über die eigene Sicht auf das Gesehene, damit einem die Tragweite des Films und viele seiner Andeutungen bewusst werden und niemand mit seinen Gefühlen allein gelassen wird. So kann einem der Film ans Herz wachsen. Durch das Reden und Diskutieren werden die Fragezeichen, die man nach dem Film vielleicht noch hat, zu Ausrufezeichen.

dramatisch
atmosphärisch
melancholisch
verschachtelt
unbehaglich

Elterninfos:Altersempfehlung der JFJ: Ergänzend zur gesetzlichen Altersfreigabe der Jugendschutz-Experten der FSK spricht die FBW-Jugend Filmjury Filmempfehlungen und Alterseinschätzungen aus. Damit geben die mit Kindern und Jugendlichen besetzten Jurys Hinweise, ab wann ein Film aus ihrer Sicht für das junge Publikum geeignet ist. Dies soll Eltern und Kindern bei der Auswahl altersgemäßer Filme helfen, als auch Orientierung geben hinsichtlich ihrer individuellen Ansprüche.

FSK: Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ist damit beauftragt, auf Basis des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) zu prüfen, für welche Altersstufen ein Film keine gefährdende Wirkung hat (0, 6, 12, 16 und 18 Jahren). Die FSK-Ausschüsse sprechen Freigaben nach der gesetzlichen Vorgabe aus, dass Filme und andere Trägermedien, die "geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen", nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden dürfen (§ 14 Abs. 1 JuSchG).

FSK Website:fsk.de;
Visionkino:visionkino.de

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